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Tiere gehen dem Leid nicht aus dem Weg

Seniorenheime entdecken Hunde und Katzen als Therapie-Helfer

“Shannon hopst manchmal zu den Leuten bis aufs Bett”, sagt Cordula Wojahn-Willaschek. “Die alten Menschen spüren etwas Warmes und Weiches - das ist zehn Mal wichtiger als eine sterile Bettdecke.” Die Sozialtherapeutin im Essener Seniorenzentrum Margarethenhöhe ist jeden Tag mit ihren Hunden Shannon und Vicky auf der Pflegestation unterwegs. Die Bewohner streicheln immer wieder gerne das flauschige Fell der beiden Golden Retriever. Wo sonst haben allein stehende, bettlägerige Senioren die Gelegenheit, jemanden zu berühren, gibt die 38jährige zu bedenken. Seit acht Jahren setzt Cordula Wojahn-Willaschek in dem Heim gezielt ihre Vierbeiner therapeutisch ein.

Alte Menschen seien über Tiere leichter ansprechbar, ist die Sozialtherapeutin überzeugt. Besonders desorientierte und schwer pflegebedürftige Personen werden nach ihren Erfahrungen ,,munterer”. Die geheimnisvolle Wirkung eines Tieres beschreibt sie so: Das Tier nimmt Menschen bedingungslos an; so auch Patienten, die sich aufgrund eines Schlaganfalls nur noch mühsam mitteilen können. Reinhold Bergler, der Vorsitzende des ,,Forschungskreises Heimtiere in der Gesellschaft”, bestätigt diese Beobachtung. Tiere hätten keine Berührungsängste und gingen menschlichem Leid nicht aus dem Weg. ,,Ein Hund wedelt mit dem Schwanz und freut sich selbst beim Besuch eines Todkranken, während die Angehörigen oftmals hilflos am Bett stehen”, so Bergler. Tiere seien zwar kein Ersatz für Menschen, aber in Anbetracht der ,,Brutalität des Alleinseins” hätten sie eine wichtige soziale Funktion.

Tier und Mensch verstehen sich auch ohne große Worte, alleine durch Blicke, Berührungen, Streicheleinheiten. Tiere fragen nicht nach körperlichen Gebrechen, ob jemand ,,hässlich” oder behindert ist, sie zeigen ihre Zuneigung - bedingungslos. Der Erlanger Psychologe Erhard Olbrich spricht vom ,,Aschenputtel-Effekt”: In den Augen eines Tieres werde selbst das faltige Gesicht der alten Frau ,,zum Antlitz einer Prinzessin”. Und ein Hund hört sich auch zum x-ten mal geduldig und schwanzwedelnd dieselben Geschichten, auch Sorgen, eines betagten Menschen an, während die Verwandten schon längst entnervt die Augen verdrehen.

 

Streicheln und Tätscheln

Tiere können nach den Ergebnissen von Studien das Pflegepersonal in Heimen spürbar entlasten. Sie lenken alte Menschen von ihren Beschwerden ab, laden zum Streicheln und Tätscheln ein und, tragen so allein durch ihre Anwesenheit zum Wohlbefinden der Heimbewohner bei. Die Untersuchungen zeigen, dass Tiere sogar blutdrucksenkend und stressmindernd wirken - auch auf die Pflegekräfte. Mangelnde Sauberkeit und Hygiene sind für den Leiter der Pflegestation im Essener Seniorenzentrum, Klaus Willnat, kein Thema: ,,Es braucht nicht so steril zu sein, wir sind ja hier nicht im Krankenhaus”. Auf dem Boden des Stationszimmers liegen Kauknochen und Spielzeug für die Vierbeiner verstreut. Oft blickt Willnat auf den Flur und sieht, wie die Bewohner mit den Vögeln oder mit den Hunden sprechen. ,,Das ist einfach ein schönes Bild, ohne dass wir etwas dazu tun.”

Tierhaltung in Seniorenheimen müsse allerdings gut durchdacht und vorbereitet werden, ,,man muss mit den Tieren, genauso sorgfältig wie mit den Menschen umgehen”, unterstreicht Cordula Wohjahn-Willaschek. Sie ist zugleich Tierschutzbeauftragte des Heimes. In dem Essener Seniorenzentrum, das den neu einziehenden Bewohnern unter bestimmten Voraussetzungen die Mitnahme des eigenen Haustiers erlaubt, fühlen sich scheinbar nicht nur die 145 alten Leute wohl. In der Cafeteria flattert der hauseigene sprechende Wellensittich Fritzchen von Schulter zu Schulter. Diverse Zierfische drehen im Aquarium ihre Runden, auf der Pflegestation zwitschern die Vögel Bubi und Flori, während die Stationskatze Julchen in einem leeren Rollstuhl döst.

Michael Denkel, Sozialtherapeut im Seniorenzentrum Margarethenhöhe, ist überzeugt: “Heimtiere wirken besser als Medikamente.” Die Stationskatze beispielsweise reagiere überaus sensibel auf die Bedürfnisse der alten Menschen. Sie habe sogar ein besonderes Gespür für sterbende Menschen. Julchen bekomme sehr früh mit, wenn ein Heimbewohner ,,in den Sterbeprozess übergeht”. Diese Menschen begleite die Katze intensiv, sie lege sich regelmäßig zu ihnen aufs Bett.

,,Die Katze tut uns allen gut”, resümiert Aenne Leopold, die sich für Julchens Pflege verantwortlich fühlt. Die 87jährige Heimbewohnerin, die deshalb liebevoll von allen ,,die Katzenmutter” genannt wird, versorgt das Tier mit Futter, gibt ihm Wasser und bürstet ihr regelmäßig das Fell. ,,Für Julchen stehe ich sogar früher auf”, strahlt die alte Dame.

 

Kaffee und Hundekuchen

Über die Tiere lassen sich auch Begegnungen der Senioren mit Menschen außerhalb des Heims herstellen. So hat Cordula Wojahn-Willaschek im vergangenen Jahr eine Hundebesuchsgruppe ins Leben gerufen. Einmal im Monat besuchen Hundehalter aus der Umgebung mit ihren Vierbeinern die Senioren, die keinen eigenen Hund mehr versorgen können. Bei Kaffee und Hundekuchen ,kommen sich Zwei- und Vierbeiner näher. Die Idee stammt vom Verein ,,Tiere helfen Menschen”. Ähnliche Gruppen gibt es inzwischen in Würzburg, Berlin, Frankfurt, Essen, Stuttgart und Ostfriesland mit rund 100 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Während dieses Projekt in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, besuchen in Großbritannien bereits mehr als 7.000 Hundehalter regelmäßig tierliebende Menschen in Heimen.

Am Anfang sei es ziemlich schwierig gewesen, Hundehalter für die Essener Gruppe zu gewinnen, erinnert sich Frau Wojahn-Willaschek. Viele hätten halt Berührungsängste vor alten Menschen. ,,Über den Hund finden aber manche den Weg ins Heim, der Hund macht es einfacher”, betont die Sozialtherapeutin. Erhard Olbrich befürwortet den Besuchsdienst für die Tierfreunde unter den Senioren - vor allem, ,,weil am anderen Ende der Leine noch ein Mensch mitkommt”. Der Professor besucht selbst mit seinem Hund alte Menschen. Diese Begegnungen hätten ,,etwas zutiefst Menschliches”. Er erlebe dabei ,,das Bedürfnis zu lieben, was sich gegenüber dem Tier in Zärtlichkeit, Fürsorge und Freude ausdrückt”. Die Sprache der Augen, die Mimik und Gestik der alten Menschen sprechen Bände.

©Angelika Prauß, Der Weg, 1998

 
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